rückblick

die lage der nation

Im März hätte man sich ein Weihnachten mit Corona nicht vorstellen können. Spätestens bis im Sommer würde man das Schreckgespenst Covid-19 im Griff haben und der ersehnte Alltag wieder einkehren, so die allgemeine Meinung. Aber wie so oft in diesem Jahr kam alles anders. Im Sommer schien das Virus zwar gebannt, aber wir haben uns zu früh gefreut. Denn schon im Herbst schlug Corona wieder zurück, das härter denn je. Die Fallzahlen schnellten in die Höhe und die Spitalbetten waren innert Kürze wieder gefüllt. Trotz verzweifelten Warnungen der Epidemiologen ging das öffentliche Leben weitaus uneingeschränkt weiter. Corona schien vergessen, Herr und Frau Schweizer hatten genug von diesem heimtückischen Virus. Daran konnten auch die Aufforderungen des Bundesrats, die persönlichen Kontakte möglichst einzuschränken, nicht viel ändern. 

 

Als die Schweiz plötzlich Corona-Hotspot Nummer eins in Europa war und sogar die vielseitig für ihr lasches Handeln während der Pandemie belächelten USA links überholte, wurde die Situation auch dem Bundesrat zu «brenzlig» und er appellierte an die Kantone neue Schutzmassnahmen zu verhängen, denn mittlerweile hatten sogar die Schweden strengere Schutzmassnahmen als die Schweiz. Doch hier schien der Föderalismus an seine Grenzen zu stossen, denn allen voran die Deutschschweizer Kantone liessen verlauten, es sei am Bundesrat, neue Massnahmen zu verordnen. So begann ein Ping-Pong zwischen dem Bundesrat und den Kantonen. Die Verantwortung wurde wie eine heisse Kartoffel hin und her geschoben, denn niemand wollte am Ende als der böse Spielverderber dastehen. 

 

Als die Kantone dann endlich doch Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen, glich die Schweiz einem grossen Flickenteppich. Lediglich den Westschweizer Kantonen gelang es, sich auf einheitliche Verordnungen zu verständigen. In der Deutschschweiz wurde weniger hart durchgegriffen, der Kanton Aargau weigerte sich bis zuletzt, trotz expliziter Ermahnung von Gesundheitsminister Alain Berset höchstpersönlich, strengere Massnahmen zu ergreifen. Die Fallzahlen fielen, aber stagnierten auf hohem Niveau. Kurz vor Weihnachten sah sich der Bundesrat auf Grund der kritischen Lage gezwungen selber Massnahmen zu ergreifen. Restaurants, Sportanlagen und Museen mussten schliessen und Freizeitaktivitäten nach 19.00 Uhr wurden verboten. Zudem waren die Kantone erneut aufgerufen strengere Massnahmen zu ergreifen, falls die epidemiologische Lage solche erfordert würde. 

 

Die Skigebiete aber durften, falls eine Bewilligung der jeweiligen Kantonsregierung vorlag weiterhin geöffnet bleiben, zu gross wäre der finanzielle Schaden. Das stiess nicht nur im Inland auf Unverständnis, auch in den Nachbarländern sorgte der Alleingang der Schweiz für Kopfschütteln. Denn in Deutschland, Frankreich und Italien mussten die Skigebiete auch über die lukrativen Festtage geschlossen bleiben. Lediglich Österreich öffnete seine Skipisten, jedoch ausschliesslich für einheimische Wintersportler. Während dessen hofften die Schweizer Bergbahnbetreiber auf möglichst zahlreiche Gäste aus den Nachbarländern und die Werbekampagnen liefen auf Hochtouren. Frust und Ärger hinter den Landesgrenzen waren demnach verständlich. Doch die Eidgenossenschaft nutzte diese Gelegenheit erneut, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren. Denn auch in Zeiten einer Pandemie lassen sich die stolzen Eidgenossen nicht reinreden.

 

Trotz der vergleichsweisen grosszügigen Einschränkungen war das Weihnachtsfest dieses Jahr in der Schweiz ein anderes. Die Familien feierten alleine, und auf gar keinen Fall mit den Grosseltern. Man traf sich nicht mit Verwandten oder Freunden und wenn höchstens für eine Spanziergang auf Abstand, sogar das traditionelle Krippenspiel und der Weihnachtsgottesdienst fielen ins Wasser. Doch wir können uns in der Schweiz glücklich schätzen, denn obwohl bei vielen Familien dieses Jahr wohl nicht so richtig Weihnachtsstimmung aufgekommen ist, mussten wir nicht darum fürchten, dass das Gemüse knapp wird, wie in Grossbritannien. Denn als wäre der drohende vertragslose Brexit nicht schon genug, wurde in Grossbritannien eine mutierte Version des Covid-19 Virus entdeckt, welcher weitaus infektiöser zu sein scheint als der uns bereits bekannte. Um die Ausbreitung des mutierten Virus zu verhindern, erliessen zahlreiche Länder Einreisesperren für Reisende aus Grossbritannien. Frankreich schloss kurzerhand die Grenzen zum Vereinigten Königreich. Dies führte zu kilometerlangen Lastwagenstaus in Südengland, welche dort gestrandet waren. Obwohl der britische Premierminister von einer gesicherten Versorgungslage sprach, relativierten die Grosshändler, dass frische Lebensmittel nach einigen Tagen knapp werden könnten. In Anbetracht dessen können wir uns glücklich schätzen, dass wir keine Insel sind und stetig mit frischen Lebensmitteln versorgt werden.  Doch für die Briten gab es pünktlich zu Heilig Abend doch noch eine gute Botschaft, den die EU und Grossbritannien hatten sich unter dem Druck der auslaufenden Übergangsfirst letztlich doch noch auf einen Vertrag zum Austritt aus der Europäischen Union geeinigt. Somit ist zumindest das Kapitel Brexit, so hofft man, abgeschlossen. 

 

Und es gibt einen weiteren Hoffnungsschimmer: die Impfung gegen das Coronavirus ist endlich verfügbar. Bereits in der Vorweihnachtswoche wurde mit dem Impfen gestartet. Aus aller Welt erreichen uns Bilder von alten Menschen, die stolz in die Kamera blicken, während sie gepikst werden. Dennoch wird das Virus noch eine Weile unseren Alltag bestimmen, denn bislang gibt es noch nicht genug Impfdosen für einen zuverlässigen Impfschutz der Bevölkerung. Und es bleibt weiterhin unklar, ob der Anteil der Impfwilligen hoch genug ist, um zum alten Leben vor der Pandemie zurückzukehren. So endet dieses Jahr mit so vielen Fragen, wie es begonnen hat. Doch wir wissen: Schlimmer als 2020 kann es wohl kaum werden, in diesem Sinne: frohes neues Jahr!